

Die MSC richtet einen European Defense Roundtable in Kyiv aus
Die Münchner Sicherheitskonferenz veranstaltete am 12. September 2024 einen European Defense Roundtable in Kyiv. Zentrales Thema des Treffens war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. In zwei Sitzungen und einer vertraulichen Night Cap Session diskutierten die Teilnehmer:innen, wie ein systematischerer und konsequenterer Ansatz für die Unterstützung der Ukraine aussehen könnte.
Die Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit Yalta European Strategy (YES) organisiert, die anschließend ihr jährliches Treffen in Kyiv abhielt. Die MSC brachte eine Gruppe von etwa fünfzig hochrangigen Entscheidungsträger:innen, Think-Tanker:innen, Akademiker:innen und Industrievertreter:innen nach Kyiv, um den direkten Dialog zwischen ihnen und ihren ukrainischen Gesprächspartner:innen zu ermöglichen. Die Gruppe reiste gemeinsam mit dem Nachtzug aus Polen an und traf am frühen Morgen in Kyiv ein, wo sie einen Tag lang über aktuelle Herausforderungen diskutierte.
Move Fast and Save Things: Die kurzfristigen Verteidigungsbedürfnisse der Ukraine angehen
In der ersten Sitzung konzentrierten sich die Teilnehmer:innen auf die kurzfristigen Herausforderungen, die sich der Ukraine stellen, und sprachen darüber, welche Unterstützung das Land von seinen internationalen Partnern am dringendsten benötigt. Viele Teilnehmer:innen verwiesen auf die Frage der Luftverteidigung, da der Ukraine weiterhin Systeme fehlen, um ihre Bevölkerung umfassend vor russischen Luftangriffen zu schützen. In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob die Partner der Ukraine erlauben sollten, mit den gelieferten Waffen russische militärische Ziele anzugreifen, von denen diese Angriffe ausgehen. Auch wenn das Thema generell umstritten ist, herrschte unter den Teilnehmer:innen weitgehend Einigkeit darüber, dass die Beschränkungen aufgehoben werden sollten, damit die Ukraine im Einklang mit dem Völkerrecht russische Ziele angreifen kann.
Umstrittener war die Frage, ob die westlichen Nachbarn der Ukraine den Luftraum über der Westukraine mit eigenen Luftabwehrsystemen verteidigen sollten. Einige Teilnehmer:innen wiesen auf mögliche Risiken hin, andere befürworteten diesen Vorschlag mit dem Argument, dass dies die Ukraine entlasten und zum Schutz ihrer Bürger:innen beitragen würde. Mehrere Teilnehmer:innen verwiesen auch auf die jüngsten Verletzungen des rumänischen und lettischen Luftraums durch russische Shahed Loitering-Munition („Kamikaze-Drohnen“). Sie betonten, dass die NATO ihren eigenen Luftraum besser gegen russische Bedrohungen aus der Luft schützen müsse, und wiesen darauf hin, dass das Abfangen russischer Drohnen und Raketen über der Westukraine, die auf den NATO-Luftraum zusteuern, im eigenen Interesse der NATO liegen könnte.
Schließlich befasste sich die Gruppe mit der Rolle von Verhandlungen bei der Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine. Es herrschte ein breiter Konsens darüber, dass die Diplomatie eine wichtige Rolle spiele. Mehrere Teilnehmer:innen warnten jedoch davor, die Ukraine zu übereilten Verhandlungen mit Russland zu drängen und damit ihre Verhandlungsposition zu schwächen. Vielmehr sollten die Partner alles tun, um die Ukraine militärisch und politisch in eine starke Position zu bringen, die es ihr ermöglicht, einen gerechten Frieden zu ukrainischen Bedingungen auszuhandeln.
From Assembly Line to Front Line: Die Vertiefung der industriellen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich
Die zweite Sitzung war der verteidigungsindustriellen Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und ihren Partnern gewidmet. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die Unterstützung der Ukraine langfristig gestaltet werden kann. Wiederholt wurde auf das Potenzial der ukrainischen Verteidigungsindustrie hingewiesen. Aufgrund der Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre und der nachgewiesenen Innovationsfähigkeit könnte die Ukraine langfristig eine führende Rolle in der europäischen Verteidigungsindustrie einnehmen und zu einem wichtigen Lieferanten für andere europäische Länder werden. Es wurde betont, dass die Ukraine ihre eigene Produktion erheblich steigern könnte, dass ihr aber an die notwendigen Ressourcen fehlen. Mehrere Teilnehmer:innen betonten daher, dass mehr Partner direkt in die ukrainische Rüstungsindustrie investieren und Joint Ventures zwischen ukrainischen und anderen europäischen Rüstungsunternehmen fördern sollten. Dadurch könne die Ukraine kostengünstiger produzieren, die Logistik vereinfachen und unabhängiger werden.
Die verschiedenen EU-Initiativen zur Unterstützung der Ukraine, die auch Gegenstand einer kurz vor der Veranstaltung veröffentlichten Munich Security Analysis waren, wurden ebenfalls diskutiert. Die Teilnehmer:innen begrüßten die erste europäische Verteidigungsindustriestrategie und die Tatsache, dass diese die Ukraine fast wie einen Mitgliedstaat behandelt. Viele Teilnehmer:innen hinterfragten jedoch, woher angesichts von Haushaltszwängen die notwendigen Ressourcen kommen sollten. Einige Teilnehmer:innen befürchteten, dass die europäischen Regierungen das geplante 50-Milliarden-Dollar-Darlehen der G7 als Vorwand nutzen könnten, um ihre eigene Unterstützung für die Ukraine herunterzufahren. Über mehrere Jahre und auf verschiedene Prioritäten verteilt, werde dieses Darlehen nicht ausreichen, um die Bedarfe der Ukraine zu decken. Viele Teilnehmer:innen betonten daher die Notwendigkeit zusätzlicher, langfristiger Finanzierungsmöglichkeiten zur Stärkung der verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis Europas und zur Unterstützung der Ukraine.
Der European Defense Roundtable zeigte, wie wichtig der direkte Austausch zwischen ukrainischen Entscheidungsträger:innen und Expert:innen und ihren Kolleg:innen aus anderen europäischen Ländern ist. Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine Auswirkungen auf die europäische Sicherheit und Verteidigung werden auch in Zukunft einen wichtigen Platz auf der Agenda der MSC einnehmen, sowohl bei der Hauptkonferenz im Februar als auch bei weiteren Veranstaltungen und Veröffentlichungen im Laufe des Jahres.