

„Lose-Lose?“ Den Teufelskreis durchbrechen – MSC Kick-off 2024 in Berlin
Wie kann ein Weg heraus aus dem Teufelskreis des relativen Gewinndenkens und zurück zu Kooperationen zum wechselseitigen Vorteil gefunden werden? Das ist die zentrale Frage des diesjährigen Munich Security Report 2024, der am 12. Februar in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin vorgestellt wurde. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), nahm die Auftaktveranstaltung zum Anlass, die mehr als 200 Gäste auf die anstehende Münchner Sicherheitskonferenz einzustimmen. Nach der Präsentation des Munich Security Report durch Sophie Eisentraut, Head of Research & Publications der MSC, diskutierte Heusgen mit Ottilia Maunganidze , Louise Mushikiwabo, Marek Prawda und Margaritis Schinas über die „Lose-Lose“ Dynamiken, die an aktuellen Konfliktherden sichtbar werden und über die Partnerschaften, die nötig sind, um diese Dynamiken zu überwinden.
„In 60 Jahren Münchner Sicherheitskonferenz gab es wohl kaum eine Periode mit so vielen zeitgleichen Krisen und Konflikten,“ hob Christoph Heusgen, Vorsitzender der MSC, die Bedeutung der diesjährigen Konferenz hervor. Treu der bewährten Tradition fand auch der diesjährige MSC Kick-off in der Bayrischen Landesvertretung in Berlin vor mehr als 200 Gästen aus Politik, Diplomatie, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft statt. Nach der Vorstellung des Munich Security Report 2024 sprachen Ottilia Maunganidze, Head of Special Projects des Institute for Security Studies, Louise Mushikiwabo, Generalsekretärin der internationalen Organisation der Frankophonie, Marek Prawda, stellvertretender Außenminister Polens, und Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission für die Förderung der europäischen Lebensweise, über Optimismus und Hoffnung in einer von Krisen und Konflikten geprägten Welt.
Der Munich Security Report 2024 mit dem Titel "Lose-Lose?" soll die Diskussion auf der 60. Münchner Sicherheitskonferenz anregen und dient als Hintergrundlektüre für Sicherheitsexpert*innen und die breitere Öffentlichkeit. Kernfrage des diesjährigen Reports ist, wie ein Weg heraus aus dem Teufelskreis des relativen Gewinndenkens und zurück zu vertrauensvoller Zusammenarbeit gefunden werden kann.
„Zwischen Staaten dominiert mittlerweile die Wahrnehmung, dass es um den eigenen Anteil am sprichwörtlichen Kuchen schlecht bestellt ist, und herrscht die Sorge vor, von der bestehenden Ordnung und von zwischenstaatlicher Kooperation weniger zu profitieren als andere,“ beschrieb Sophie Eisentraut, Head of Research der MSC, in ihrer Vorstellung des Munich Security Reports die Grundproblematik, die der Report thematisiert. Die diesjährigen Umfragedaten des Munich Security Index – einem Datensatz zu globalen Risikowahrnehmungen, der von der MSC und Kekst CNC erstellt wurde und der in der Bayerischen Landesvertretung präsentiert wurde – spiegeln die beschriebene Wahrnehmung wider. Sie zeigen, dass Menschen in den befragten G7-Ländern erwarten, dass ihr Kuchenstück in den nächsten zehn Jahren schrumpfen wird und ihre Länder im Verhältnis zu China, Brasilien, Indien und Südafrika Machtverluste erleiden werden. In Ländern des sogenannten Globalen Südens, so Eisentraut, steige derweil die Unzufriedenheit über die in der Wahrnehmung dieser Länder ungleiche Verteilung der Vorteile der internationalen Ordnung. Autokratien wie China und Russland wiederum fänden, sie verdienen ein deutlich größeres Stück vom Kuchen und fordern es immer vehementer ein – im Falle Russlands sogar mit Gewalt. Für die Wirtschafts- und Sicherheitsbeziehungen von Staaten, so zeige der Munich Security Report, hat dieses verstärkte Denken in relativen Gewinnen oder gar Nullsummenspielen bereits negative Konsequenzen. Es berge zudem die Gefahr eines Teufelskreises aus relativem Gewinndenken, Wohlstandsverlusten und wachsenden geopolitischen Spannungen, der am Ende alle zu Verlierern macht.
Um diesen Teufelskreis zu stoppen und Kooperation zu stärken, die den sprichwörtlichen Kuchen für alle vergrößert, gibt es kein einfaches Rezept. Über einige Rezeptideen sprachen die Panelist:innen der Diskussionsrunde im Anschluss an die Präsentation des Munich Security Report. Die Notwendigkeit, sowohl bestehende Kooperationsformate zu stärken als auch neue Partnerschaften zu schließen, spielte dabei eine große Rolle.
Die Stärkung internationaler Zusammenarbeit beginnt bei den engsten Partnern
„Wir müssen dem intellektuellen Reiz des Pessimismus widerstehen,“ appellierte Schinas in seinem Auftaktvortrag zur Kick-off-Diskussion. Die Europäische Union sei aus dem Gedanken der Kooperation und Integration zum gegenseitigen Vorteil entstanden, welcher Europa jahrzehntelangen Frieden beschert hat. Nach dem Ende der sogenannten Friedensdividende dürfe man nun nicht in ein Nullsummendenken verfallen, sondern müsse gemeinsam innovative Lösungen für die aktuellen Herausforderungen finden. Auch Prawda sprach sich für eine handlungsfähige EU, die aus Krisen gestärkt hervorgeht. Die EU müsse sich im Angesicht des russischen Angriffskrieges „von einer Regelfabrik zu einer Schicksalsgemeinschaft“ entwickeln, die Frieden und Demokratie mit aller Macht verteidigt, argumentierte er.
Vertrauen und gegenseitiges Verständnis sind die wichtigsten Mittel, um neue Partnerschaften aufzubauen
Vertrauensvolle Partnerschaften sind im Angesicht globaler Krisen und Herausforderungen nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch international notwendig. Auf die Frage, wie internationale Zusammenarbeit besonders zwischen Europa und Ländern des sogenannten Globalen Südens gestärkt werden kann, forderte Maunganidze, Zusammenarbeit stets mit dem Versuch zu beginnen, die Ausgangssituation des Gegenübers besser zu verstehen und dafür miteinander den Dialog zu suchen. Mushikiwabo betonte, dass es für europäische Länder wichtig sei, bei der Kooperation mit Ländern des Globalen Südens weniger selbstgefällig aufzutreten, um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen. So können Partnerschaften zur Bekämpfung von existenziellen Krisen wie dem Klimawandel gelingen. Mit Blick auf die Befriedung von scheinbar unlösbaren Konflikten – wie jenem zwischen Israelis und Palästinensern – sprach Mushikiwabo über ihre persönlichen Erfahrungen nach dem Genozid in Ruanda 1994. Sie betonte die bewusste Entscheidung der Menschen in Ruanda, dem „Lose-Lose“ Szenario gegenseitiger Vergeltung zu widerstehen, um ihr Land gemeinsam wiederaufzubauen.
In wenigen Tagen setzt sich die Suche nach Kooperationsmöglichkeiten und Silberstreifen am Horizont der internationalen Sicherheitspolitik auf der 60. Münchner Sicherheitskonferenz fort.
Aufzeichnung des Kick-offs 2024
Schauen Sie sich den Kick-off 2024 in voller Länge auf YouTube an.