

15 außenpolitische Empfehlungen für die kommende Bundesregierung
Afghanistan, Weltklima, eine globale Pandemie – die Liste der außen- und sicherheitspolitischen Themen und Herausforderungen vor der Bundestagswahl am 26. September ist lang. Zudem haben sich in den letzten Jahren vermeintliche Gewissheiten der deutschen Außenpolitik rapide verändert. Damit sich die Bundesrepublik in dieser weltpolitischen Zeitenwende als ernstzunehmender Akteur behaupten kann, muss die nächste Bundesregierung innovative Lösungen für die Herausforderungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik finden. Die Münchner Sicherheitskonferenz hat an dieser Stelle 15 Empfehlungen kurz zusammengefasst, die sie bereits in den vergangenen Monaten, unter anderem in ihren Publikationen und Analysen, veröffentlicht hat.
1. Einen Nationalen Sicherheitsrat einführen
Um die Komplexität sicherheitspolitischer Zusammenhänge besser abzubilden, die Koordinierung und vorausschauende Planung zu verbessern sowie taktische Entscheidungen mit langfristigen strategischen Erwägungen in Einklang zu bringen, sollte der Bundessicherheitsrat zu einem Nationalen Sicherheitsrat ausgeweitet werden. Dieser sollte das gesamte Spektrum der Sicherheitspolitik abdecken, einschließlich Klima-, Energie- und Gesundheitspolitik, und damit zum "Vernetzten Ansatz" Deutschlands beitragen.
Deutschland muss im Ausland mit einer Stimme sprechen. Ein ausgebauter Bundessicherheitsrat würde die Professionalität und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Regierung und damit ihre internationale Durchschlagskraft stärken.Wolfgang Ischinger•Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
2. Eine Nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten und regelmäßige Grundsatzdebatten im Bundestag einführen
Für die Fortentwicklung der strategischen Kultur, als Rahmen für außenpolitisches Handeln und Prioritätensetzung sowie für die Kommunikation der Ziele und Interessen Deutschlands nach Innen und Außen sollte die kommende Bundesregierung regelmäßig ein nationales Strategiedokument vorlegen. Dieses Papier sowie Zwischenberichte auf jährlicher Basis sollten Gegenstand breiter Debatten im Bundestag sein.
3. Ein 3-Prozent-Ziel für "Internationales" einführen
Entsprechend dem umfassenden Sicherheitsbegriff Deutschlands sollte die kommende Bundesregierung Ausgabensteigerungen in allen Bereichen des Internationalen umsetzen: 2 Prozent des BIP für Verteidigung, 0,7 Prozent für Entwicklung und humanitäre Hilfe und 0,3 Prozent für Diplomatie.
4. Eine umfassende Klimaaußenpolitik einführen
Deutschland muss auf nationaler wie europäischer und internationaler Ebene für eine umfassende Klimaaußenpolitik eintreten. Dies umfasst unter anderem neue grüne Klimapartnerschaften sowie eine umfassende Überprüfung der Handels-, Wirtschafts-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik auf den Klima-Sicherheits-Nexus.
5. Militärische Leistungsfähigkeit gewährleisten
Außenpolitische Entscheidungskraft bedarf in einer durch vielfältige blutige Konflikte geprägten Welt auch der militärischen Unterfütterung. Die nächste deutsche Bundesregierung muss sich – basierend auf dem 2-Prozent-Ziel – zu einer langfristigen gesicherten Finanzierung der Bundeswehr bekennen, die Modernisierung der Streitkräfte, einschließlich der Ausstattung mit bewaffneten Drohnen, voranbringen und einen unilateralen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe der NATO ausschließen.
6. Die transatlantischen Beziehungen vorantreiben
Um aktuelle und zukünftige Herausforderungen anzugehen und im Wettbewerb mit China zu bestehen, sind enge transatlantische Bindungen entscheidend. Die Ergebnisse des EU-US-Gipfels im Juni sind vielversprechend. Es bedarf umfassender Bemühungen Deutschlands, um die Beschlüsse in die Tat umzusetzen – zum Beispiel in den Bereichen Klima, Handel und Technologie.
7. Einen europäischen Imperativ verfolgen
Die Europäische Union wird nur dann handlungsfähiger sein können, wenn Deutschland seiner Führungsrolle in der EU gerecht wird. Das muss auch bedeuten, dass sich Deutschland einem "europäischen Imperativ" verpflichtet: Das Handeln der deutschen Regierung sollte vor allem danach bewertet werden, ob es der EU hilft, sich wirtschaftlich und politisch zu erholen, und sie in die Lage versetzt, zu einem glaubwürdigeren internationalen Akteur zu werden, der seine Werte und Interessen eigenständig schützen kann.
8. Für Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik eintreten
Um die EU international handlungsfähiger zu machen, ist die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen (QMV) in der Außenpolitik ein zentraler Schritt. Während sich nahezu alle Parteien in Deutschland für QMV aussprechen, fehlt es bislang an konkreten Initiativen – dies muss unter der kommenden Bundesregierung anders werden. Ein erster Schritt könnte ein freiwilliger Vetoverzicht der Bundesregierung sein. Daneben müssen die Kosten des Vetogebrauchs erhöht und die Bereitschaft Deutschlands entwickelt werden, mit gleichgesinnten europäischen Partnern voranzuschreiten, wenn kein Konsens besteht.
9. Den Europäischen Auswärtigen Dienst und die Position des Hohen Vertreters stärken
Ein weiterer Baustein für eine größere internationale Handlungsfähigkeit der EU ist die Stärkung des Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD) und der Position des Hohen Vertreters. Deutschland sollte darauf drängen, dass bei diplomatischen Initiativen europäischer Staaten, wie im Rahmen des Normandie-Formats oder der E3, der Hohe Vertreter stets Teil der Runde ist. Auch sollten deutsche Kabinettsmitglieder bei Auslandsreisen nicht nur mit dem eigenen Botschafter zu Terminen mit der jeweiligen ausländischen Regierung gehen, sondern mit einem Duo aus deutschem Botschafter und Vertreter des EAD.
10. Europäische Verteidigungszusammenarbeit vertiefen
Anstelle von Sonntagsreden über eine Europäische Armee sollte Deutschland darauf hinwirken, dass aus bestehenden Initiativen wie PESCO, EAD und EDF tatsächliche Fähigkeiten erwachsen und schrittweise integrierte, einsatzfähige Streitkräfte aufgebaut werden und die Konsolidierung der europäischen Verteidigungsindustrie vorangetrieben wird.
11. Digitale Souveränität Europas stärken
Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung digitaler Technologien für Regierung, Industrie und Alltag und die vielfältigen Sicherheitsimplikationen muss die deutsche Bundesregierung darauf hinwirken, die digitale Souveränität Europas zu stärken. Unser Munich Security Brief "Update Required" zeigt, wo Europa noch führt, wo es aufholen muss und wie seine technologischen Fähigkeiten nicht nur Europa, sondern auch der transatlantischen Partnerschaft dienen.
12. Europäisches Engagement in der Nachbarschaft vertiefen – von "burden-sharing" zu "burden-shifting"
Neben der Steigerung des finanziellen Beitrags zur euro-atlantischen Sicherheit, muss Europa mehr Verantwortung in seiner östlichen und südlichen Nachbarschaft übernehmen. Dies umfasst nicht nur militärisches Engagement, sondern vor allem auch wirtschaftliche, diplomatische und rechtliche Mittel. Die kommende Bundesregierung sollte zu einer treibenden Kraft einer pro-aktiven europäischen Nachbarschaftspolitik werden.
13. Einen pragmatischeren Ansatz gegenüber Russland entwickeln
Deutschland muss mit alten Illusionen über das Putinsche Russland aufräumen und einen pragmatischeren Umgang mit Russland suchen. Während die Tür zu Dialog stets offen sein sollte und Kooperation in Feldern gemeinsamen Interesses auch weiterhin gesucht werden sollte, muss Deutschland erkennen, dass eine substantielle Verbesserung der Beziehungen entscheidend von der russischen Regierung abhängt. Die neue Bundesregierung sollte – beginnend mit der Überprüfung der eigenen Russland-Politik – auf einen gemeinsamen europäischen und transatlantischen Ansatz hinwirken, die Verteidigungsfähigkeit und Resilienz erhöhen und den Austausch mit der russischen Gesellschaft vertiefen. Hinzu kommen die anhaltenden Spannungen im Zusammenhang mit der Ostseepipeline Nord Stream 2, die die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Vorgehens auch im Energiesektor unterstreichen.
14. Eine transatlantische Strategie gegenüber China entwickeln
Um den Herausforderungen durch China begegnen zu können, muss Europa mit einer Stimme sprechen. Für die Entwicklung einer europäischen – und, darauf basierend, einer transatlantischen – Strategie gegenüber China ist die Rolle Deutschlands entscheidend. Die kommende Bundesregierung muss den bislang zu wirtschaftszentrierten China-Kurs hinterfragen und Politikfeld-spezifisch die richtige Balance aus Kooperation und Wettbewerb suchen. In dem Bericht "Mind the Gap: Priorities for Transatlantic China Policy" wird eine transatlantische Agenda vorgelegt, die sich darauf konzentriert, in sieben Themenbereichen, von Wirtschaft über Werte bis hin zu Sicherheit, kurzfristig Erfolge zu erzielen.
15. Eine ganzheitliche Reaktion auf die Polypandemie Covid-19 forcieren
Kurzfristige Maßnahmen zur Bekämpfung von Notlagen müssen mit Investitionen in langfristige Krisenresilienz verbunden werden. So müssen unter anderem die Finanzierungslücken humanitärer Initiativen geschlossen, das 0,7-Prozent-ODA-Ziel umgesetzt, der Anteil der Entwicklungsgelder für Gesundheit erhöht und die Anstrengungen für eine universelle Gesundheitsversorgung vertieft werden. Die finanziellen und institutionellen Mittel zur Pandemieprävention müssen deutlich aufgestockt werden. Multilaterale Organisationen, allen voran die Weltgesundheitsorganisation müssen gestärkt und eine global geltende Pandemieberichtsverpflichtung eingeführt werden. In der EU sollten die Kompetenzen in den Bereichen Prävention und Notfallmaßnahmen auf EU-Ebene gebündelt werden.