

Klimawandel und Gesundheitssicherheit: Infektiöse Zusammenhänge
Überall auf der Welt werden Menschen zunehmend mit den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels konfrontiert. Die Todesfälle und Erkrankungen infolge der klimabedingten Wetterextreme diesen Sommer – von verheerenden Hitzewellen in Europa zu zerstörerischen Fluten in Pakistan – sind nur eines von vielen Beispielen dafür. In diesem Artikel beleuchtet Julia Hammelehle, Policy Advisor bei der MSC, den Zusammenhang zwischen Klima- und Gesundheitssicherheit sowie die sich daraus ergebenden Policy-Implikationen.
Der Klimawandel ist die „größte gesundheitliche Bedrohung für die Menschheit“. Staatliche Maßnahmen zur Vorbeugung und Vorbereitung auf die infektiösen Zusammenhänge zwischen Klima- und Gesundheitssicherheit sind jedoch weiterhin unzureichend. Die verheerenden Gesundheitsfolgen der Wetterextreme, die diesen Sommer Länder auf der ganzen Welt erschütterten, könnten dazu beitragen, das Bewusstsein für die vielfältigen Auswirkungen von Klima- und Umweltveränderungen auf die menschliche Gesundheit zu schärfen. Neben der Häufung von Extremwetterereignissen stechen drei weitere entscheidende Faktoren hervor.
1. Extremwetterereignisse
Die Belege dafür, dass der Klimawandel die Häufigkeit und Intensität von extremen Wetterlagen wie Hitzewellen, Fluten und Dürren erhöht, sind eindeutig. Die Auswirkungen dieser Wetterextreme auf die menschliche Gesundheit können gravierend sein.
Nach Daten der Europäischen Beobachtungsstelle für Klima und Gesundheit hat sich die hitzebedingte Sterblichkeit von Menschen über 65 Jahren in den letzten 20 Jahren weltweit nahezu verdoppelt. 2018 lag sie bei 300.000 Todesfällen. Die NASA geht davon aus, dass die am stärksten betroffenen Regionen bis etwa 2050 Südasien, der Persische Golf sowie das Rote Meer sein werden und bis 2070 Ostchina, Teile Südostasiens sowie Brasilien – aber auch Nordamerika und Europa werden die steigenden Temperaturen zunehmend spüren. Die beispiellose Hitzewelle, die Europa diesen Sommer erfasste, sei nach den Worten eines Experten der Weltorganisation für Meteorologie nur ein „Vorgeschmack auf das, was bevorsteht“. Die Anzahl an Todesfällen war erschütternd: So starben beispielweise in Spanien und Portugal innerhalb von nur etwa zehn Tagen im Juli mehr als 2.000 Menschen.
Ein weiteres Beispiel extremer Wettereignisse, die tödliche Folgen haben können, sind Überschwemmungen. Im vergangenen Jahr forderten sie Tausende von Menschenleben, u.a. in Pakistan, wo im Sommer 2022 mehr als 1.100 Menschen in den Sturzfluten ums Leben kamen, oder im deutschen Ahrtal, wo im Juli 2021 184 Menschen bei den Überschwemmungen starben.
Die Fluten haben uns auf dramatische Weise gezeigt: Die Klimakrise ist längst da. Und wir alle sind gefährdet, auch mitten in Deutschland.Jennifer Morgan •Deutsche Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, Auswärtiges Amt
Und auch wenn die Wetterextreme nicht zu Todesopfern führen, können die gesundheitlichen Auswirkungengravierend sein. Dazu gehören Hitzeschläge, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrankheiten in Folge von Waldbränden oder Erkrankungen wie Durchfall durch verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel.
2. Ernährungsunsicherheit
Der Klimawandel verschärft zunehmend den globalen Hunger. Steigende Temperaturen, veränderte Niederschlagsmuster sowie häufigere Extremwetterereignisse schwächen die vier Säulen der Ernährungssicherheit: Verfügbarkeit, Zugang, Qualität und Nachhaltigkeit. Zusätzlich zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sowie Russlands Krieg gegen die Ukraine auf Preise und Lieferketten ist der Klimawandel ein wesentlicher Faktor in der aktuellen „erdbebenartigen Hungerkrise“. 345 Millionen Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen, 50 Millionen leiden unter akutem Hunger. Die direkten Folgen des Klimawandels für die Ernährungssicherheit zeigt sich aktuell beispielsweise an der verheerenden Situation am Horn von Afrika. In Folge eine der schwersten Dürren der letzten Jahrzehnte ist die Region Opfer einer der schrecklichsten Hungerkrisen der letzten 70 Jahre. Mehr als 37 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger.
Die gesundheitlichen Folgen von Ernährungsunsicherheit sind schwerwiegend. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen etwa 45 Prozent der Todesfälle von unter 5-Jährigen mit Unterernährung in Zusammenhang. Selbst wenn keine Lebensgefahr besteht, beeinträchtigt Unterernährung die körperliche sowie geistige Entwicklung und erhöht das Krankheitsrisiko. Unterernährte Mütter bringen häufiger untergewichtige Säuglinge zur Welt. Mangelernährung in den ersten 1000 Lebenstagen eines Kindes kann zu Wachstums- und Entwicklungsstörungen führen und Kinder so daran hindern, ihr körperliches und kognitives Potenzial zu erreichen.
3. Infektionskrankheiten und Pandemien
Der Klimawandel erhöht auch das Risiko von Infektionskrankheiten und Pandemien. Neue Studien zeigen, dass der Klimawandel mehr als die Hälfte aller Infektionskrankheiten, mit denen Menschen in Kontakt kommen, verschlimmern könnte. Veränderungen der Temperaturen und Niederschläge wirken sich beispielsweise auf Verbreitungsgebiete von Stechmücken sowie auf die Saisonalität und Intensität der von ihnen übertragenen Viruserkrankungen aus. Da der Klimawandel viele Tierarten dazu zwingen wird, ihre natürlichen Lebensräume zu verlassen, werden sich Viruskreuzungen zwischen Tieren häufen und sich damit das Risiko einer Übertragung auf den Menschen erhöhen. So könnte der Klimawandel zum „stärksten Treiber des Pandemierisikos“ werden.
4. Psychische Gesundheit
Aktuelle Forschungsergebnisse unterstreichen die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit. In einem kürzlich erschienenen Policy Brief zeigt die WHO auf, wie der Klimawandel verschiedene soziale und umweltbedingte Risikofaktoren für die mentale Gesundheit verschärft, wie z.B. durch den Verlust der Lebensgrundlage. Darauf aufbauend erläutert der Bericht, wie der Klimawandel zur Entstehung neuer oder Verschärfung bestehender psychischer Erkrankungen, wie Depressionen oder Ängsten, führen kann. Konzepte wie „Ökologische Trauer“, „Öko-Angst“, oder Solastalgie beschreiben Gefühle von Verlust, Hilflosigkeit und Verzweiflung angesichts der Klima- und Umweltveränderungen, die von immer mehr Menschen geteilt werden.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz
All diese gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels haben ein gemeinsames Merkmal: Die extreme Ungleichheit der Verwundbarkeit. Fragile und benachteiligte Gesellschaftsgruppen sind überproportional stark betroffen. Einkommensschwächere Länder verfügen über weniger Ressourcen, um sich auf den Klimawandel vorzubereiten und sich an ihn anzupassen. Zudem sind aufgrund fragiler Gesundheitssysteme und schwacher Wirtschaftsstrukturen ihre Kapazitäten begrenzt, um auf klimabedingte Gesundheitsrisiken zu reagieren und sich auf diese vorzubereiten. Health Equity muss daher im Mittelpunkt der politischen Antwort auf die zunehmenden Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel stehen. Wirksame Maßnahmen müssen ferner die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ganzheitlich betrachten und ins Gleichgewicht bringen. Der „One Health“- Ansatz, dessen Ausgangspunkt ebendiese Verknüpfung ist, fand zuletzt vermehrt Anklang unter Regierungen und internationalen Organisationen.
Jeder Bruchteil eines Grades mehr gefährdet unsere Gesundheit und Zukunft. Gleichzeitig bringt uns jede Maßnahme zur Begrenzung der Emissionen und der Erwärmung näher an eine gesündere und sicherere Zukunft.Tedros Adhanom Ghebreyesus•Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Ohne umfassende Klimaschutzmaßnahmen werden sich Gesundheitskrisen weiter verschärfen. Deshalb ist das Pariser Klimaabkommen auch ein „fundamentales Abkommen für die öffentliche Gesundheit, möglicherweise das wichtigste Abkommen für die öffentliche Gesundheit in diesem Jahrhundert“. Bisherige Bemühungen zur Erreichung der Netto-Null-Ziele bleiben unzureichend. Dass Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich in Nordamerika und Europa, auch die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zunehmend selbst erfahren, könnte jedoch dabei helfen, Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben – und damit sowohl die Klima- als auch Gesundheitssicherheit zu stärken.
Über die Autorin
Julia Hammelehle ist Policy Advisor bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Dabei fokussiert sie sich vor allem auf die Themengebiete Politik und Institutionen der EU, Beziehungen zwischen EU und Großbritannien, deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, transatlantische Beziehungen sowie Energieaußenpolitik.
Vor ihrer Arbeit bei der MSC studierte sie Internationale Beziehungen in Dresden und Boston und absolvierte einen Master in EU Politics an der London School of Economics and Political Science (LSE). Während ihres Studiums sammelte sie u.a. im Britischen Unterhaus, im Deutschen Bundestag, dem Baden-Württembergischen Landtag, sowie dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Arbeitserfahrung.