Veranstaltungsbericht

Münchner Sicherheitskonferenz richtet Roundtable zu europäischer Verteidigung während der schwedischen Almedalen-Woche in Visby, Schweden aus

Am 27. und 28. Juni, wenige Tage vor Ende der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und zwei Wochen vor dem NATO-Gipfel in Vilnius, richtete die Münchner Sicherheitskonferenz im Rahmen der berühmten Almedalen-Woche im schwedischen Visby einen Roundtable zu europäischer Verteidigung aus.

Die Almedalen-Woche gilt als das wichtigste Demokratie-Festival und politische Forum Schwedens. Die Roundtable brachte rund 40 hochrangige EntscheidungsträgerInnen, WirtschaftsvertreterInnen und Think Tank-ExpertInnen zusammen, um die Auswirkungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine auf die künftige Verteidigungszusammenarbeit innerhalb sowie zwischen der Europäischen Union und der NATO zu diskutieren.

Der European Defense Roundtable der MSC wurde mit einem Abendempfang und einer Podiumsdiskussion an Bord der deutschen Korvette Erfurt eröffnet, die zu diesem Anlass nach Visby ausgelaufen war. Die Podiumsdiskussion konzentrierte sich auf die "militärischen Lehren aus der Ukraine". Die TeilnehmerInnen waren sich einig, dass die Kombination aus Zermürbungskrieg und den hybriden Taktiken Russlands die sowohl Notwendigkeit von Masse als auch von Innovation verdeutlicht. Die PodiumsteilnehmerInnen unterstrichen die Bedeutung von Drohnen, Datenkonnektivität und weltraumgestützten Systemen für die ukrainischen Streitkräfte. Die Widerstandsfähigkeit, das Engagement und die Kreativität der ukrainischen Gesellschaft insgesamt wurden als wichtige Voraussetzung für die militärischen Erfolge des Landes angesehen. Die DiskussionsteilnehmerInnen erörterten auch die Lehren, die sich aus der gesellschaftlichen Resilienz der Ukraine und dem nordischen Modell der "totalen Verteidigung" für andere Länder ziehen lassen. Sie betonten hierbei die Bedeutung einer soliden Kommunikationsstrategie, von Bildungsmaßnahmen zur Verbesserung der Medienkompetenz und von Maßnahmen zur Stärkung des Vertrauens in die Institutionen.

Defense Sitters: Die Transformation der europäischen Streitkräfte in Kriegszeiten

Der folgende Tag begann mit der Vorstellung der neuen Sonderausgabe des Münchner Sicherheitsberichts zur europäischen Verteidigung mit dem Titel "Defense Sitters: Transforming European Militaries in Times of War". In dem Bericht argumentieren die AutorInnen, dass die europäische Verteidigung zwischen dem Status quo ante und einer echten Transformation, welche die aktuelle Zeitenwende erfordert, feststeckt. Die HerausgeberInnen des Berichts, Nicole Koenig und Leonard Schütte, präsentierten die wichtigsten Ergebnisse sowie fünf Empfehlungen, die zu einer echten Transformation der europäischen Verteidigungszusammenarbeit führen könnten. In der anschließenden Diskussion wurden einige der Hindernisse hervorgehoben, die dem entgegenstehen im Wege stehen, darunter das Vorherrschen nationaler Souveränitätsbedenken gegenüber einer effizienten Zusammenarbeit, der Mangel an gegenseitigem Vertrauen und das Spannungsverhältnis zwischen dem Bedarf an schneller Beschaffung und der längerfristigen Konsolidierung der verteidigungsindustriellen Basis Europas.

Militärisch-industrielle Komplexitäten: Herausforderungen in der europäischen Verteidigungszusammenarbeit überwinden

Im Anschluss an die Vorstellung des Berichts fand eine erste Roundtable-Diskussion zu den Herausforderungen der europäischen Verteidigungsindustrie und Streitkräfte bei der Entwicklung, Herstellung und Beschaffung neuer Fähigkeiten im Kontext des russischen Angriffskriegs statt. Die TeilnehmerInnen waren sich weitgehend einig über die Notwendigkeit einer größeren Standardisierung, insbesondere im Fall von Munition. Einig waren sich die TeilnehmerInnen auch bezüglich der Bedeutung der Versorgungssicherheit und der Notwendigkeit, entsprechende Engpässe gemeinsam anzugehen. Allerdings gingen die Meinungen über die Zukunft der europäischen verteidigungsindustriellen Zusammenarbeit auseinander. Während einige TeilnehmerInnen die Bedeutung kompatibler Softwarelösungen als Schlüssel für die Interoperabilität betonten, hielten andere die Standardisierung von Plattformen für vorrangig, nicht zuletzt wegen der deutlich höheren Kosten. Es bestanden auch unterschiedliche Ansichten über die richtige Balance zwischen der Konsolidierung der Verteidigungsindustrie und dem Wettbewerb. Während viele das Einsparpotenzial im Zusammenhang mit der Konsolidierung hervorhoben, sahen andere den Wettbewerb als ein Element der Resilienz und als Motor für Innovationen.

Ein Blick über das Meer: Ausblick auf den NATO-Gipfel in Vilnius

Die zweite Roundtable-Diskussion konzentrierte sich auf die Verteidigungszusammenarbeit im Rahmen der NATO und die Erwartungen an den Gipfel von Vilnius. Die TeilnehmerInnen sprachen sich eindeutig für den Beitritt Schwedens zur NATO aus. Einige warnten davor, dass eine Nichtgewährung der schwedischen Mitgliedschaft in Vilnius das Bündnis schwächen würde. Die TeilnehmerInnen betonten auch die Bedeutung einer entschlossenen Umsetzung des neuen Streitkräftemodells der NATO und der bevorstehenden regionalen Verteidigungspläne. Sie führten eine offene Diskussion über Sicherheitsgarantien für die Ukraine und die Möglichkeit eines zukünftigen NATO-Beitritts. Die TeilnehmerInnen waren sich darüber einig, dass es wichtig sei, der Ukraine klar zu signalisieren, dass die Bündnispartner bereit sind, langfristig für die Sicherheit des Landes einzustehen. Viele TeilnehmerInnen sprachen sich auch dafür aus, die Ukraine auf längere Sicht in die NATO aufzunehmen. Es blieb jedoch offen, wie dies angesichts der anhaltenden Angriffe Russlands auf die Ukraine umgesetzt werden kann.

Schwedens Rolle bei der Stärkung der europäischen Verteidigung

Die Ruine der St. Nicolai-Kirche in Visby diente als Austragungsort für die öffentliche Podiumsdiskussion der MSC über Schwedens Rolle in der europäischen Verteidigung, die Teil des offiziellen Programms der Almedalen-Woche war. In seiner Eröffnungsrede unterstrich der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson die Unterstützung seines Landes für die Ukraine und erklärte seine Bereitschaft, sich an den NATO-Missionen Enhanced Forward Presence (EFP) und Baltic Air Policing zu beteiligen. Auf seine Rede folgte eine hochrangige Podiumsdiskussion, an welcher der schwedische Verteidigungsminister Pål Jonson, Außenminister Tobias Billström, die neu gewählte Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des finnischen Parlaments Tytti Tuppurainen, der CEO von Saab AB Micael Johansson und die Direktorin für Nordeuropa des Atlantic Council Anna Wieslander teilnahmen. In der Diskussion wurde die Bereitschaft Schwedens unterstrichen, einen Mehrwert für die NATO zu erbringen, beispielsweise durch die Bereitstellung von strategischer Tiefe im Hohen Norden. Die DiskussionsteilnehmerInnen traten auch ins Gespräch mit dem Publikum, das Fragen zu den jüngsten Entwicklungen in Russland und der Ukraine sowie zu den Aussichten auf einen NATO-Beitritt Schwedens stellte. Der Vorsitzende der MSC, Botschafter Christoph Heusgen, betonte zum Abschluss der Veranstaltung die Bedeutung weiterer öffentlicher Diskussionen über die sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa. Die öffentliche Veranstaltung wurde live übertragen und kann als Aufzeichnung abgerufen werden (auf Englisch).