

Wolfgang Ischinger erhält den Preis für Verständigung und Toleranz
Am Samstag, den 11. November 2023, haben Wolfgang Ischinger, der Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz, und Corinne Michaela Flick, Gründerin und Vorständin der gemeinnützigen CONVOCO! Stiftung, den "Preis für Verständigung und Toleranz" durch das Jüdische Museum Berlin verliehen bekommen.
Im Folgenden die Dankesrede von Wolfgang Ischinger.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde des Jüdischen Museums Berlin. Ich bin wirklich tief gerührt über diese Auszeichnung. Ich weiß nicht, ob ich diese Ehrung verdient habe, aber ich nehme sie in Dankbarkeit an. Mein Dank gilt zuallererst meinem Freund Ron Lauder. Dear Ron, I cannot thank you enough for having taken the decision to climb into an airplane and to come all the way from New York to join us here tonight, and to speak on this important occasion. I am deeply moved by your extremely kind words. As others have said before, if my mother were here tonight she would actually believe every word you said. Ron, your presence here tonight, as the President of the World Jewish Congress, is so important as we ponder the question how this country, how our society can, should, and must deal with the rise of anti-Semitism which this time around comes not only from extreme right wing fringe groups. Thank you for being here tonight, and for sharing your views with this German audience.
In gleicher Weise möchte ich der Chefin des Jüdischen Museums Berlin, der lieben Hetty Berg und ihrem gesamten Team von Herzen danken. Sie haben eine großartige Veranstaltung geplant und organisiert. In diesen Dank schließe ich natürlich Walter Kuna und seinen Stellvertreter Klaus Mangold vom Kreis der Freunde und Unterstützer des Jüdischen Museums ein. Ich hatte über Jahre hinweg das Privileg, diesem Kreis selbst anzugehören und bedanke mich noch einmal bei dem damaligen Vorsitzenden, meinem alten Freund Michael Naumann dafür, dass er mich in dieses Gremium reingeholt hat. Und Kiki Mangold wird genau wissen, warum ich auch ihr aufrichtig danke. Last but not least möchte ich Michael Blumenthal danken. Lieber Michael, du hast dieses Museum entworfen, gegründet und geführt und ohne deine charismatische Rolle wäre das Museum nicht zu dem geworden, was es heute ist. Du hast dem Museum seine Ausrichtung gegeben und hast es erfolgreich zu einem zentralen Bestandteil des Lebens in dieser Stadt gemacht. Dieses Museum steht für das Ziel, in Toleranz zusammenzuleben. Das Jüdische Museum Berlin ist deshalb, um es aktuell auszudrücken, der totale Kontrapunkt zu dem Hass-Terror, der am 7. Oktober dieses Jahres über so viele Unschuldige Israelis hereinbrach.
Der Holocaust, an den dieses Museum auch erinnert, war ein Zivilisationsbruch, eine Singularität in der Dimension und der industriellen Grausamkeit. Ich fürchte allerdings, dass Zivilisationsbrüche mit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keineswegs ihr Ende gefunden haben. Im Gegenteil, wir haben es in letzter Zeit mit einem sich beschleunigenden Zerfall der regelbasierten internationalen Ordnung zu tun. Wir erleben erneute Zivilisationsbrüche. Die Eröffnung dieses Museums im September 2001 erfolgte nur wenige Tage vor 9/11. Wir haben jetzt, nach den blutigen Massakern in der Ostukraine im März 2022 - ich nenne nur das Stichwort Butscha - diesen unsäglichen Vorgang des 7. Oktober 2023, der in die Geschichte eingehen wird als ein Ausbruch von bestialischer Unmenschlichkeit kaum vorstellbaren Ausmaßes. Hier wurde eben nicht versucht, diesen Massenmord etwa zu verheimlichen oder zu vertuschen, sondern hier hat eine Bande von Terroristen sich über Schmerz, Horror, Entsetzen und Tod bei diesem Massaker auch noch gefreut. Dass sie das Entsetzliche nicht nur filmten, sondern mit dem Gefilmten auch noch prahlten – unmenschlicher kann es eigentlich kaum werden. Wir müssen deshalb an diesem Abend in Mitgefühl, in Trauer, Schmerz und wohl auch in Wut der vielen vielen Opfer gedenken und an die Angehörigen, Nachbarn, ja an die gesamte israelische Bevölkerung denken, die sich ihres Existenzrechts jetzt nicht mehr ganz so sicher sein kann, wie es vielleicht vor dem 7. Oktober von vielen gesehen wurde. Selbst wenn man weiß, dass Israel über Jahrzehnte ja immer und ohne Unterlass von außen bedroht worden ist.
Meine Damen und Herren, ich nehme diese Ehrung auch im Namen des Teams der Münchner Sicherheitskonferenz an, das mit mir gemeinsam über die letzten eineinhalb Jahrzehnte an der Fortentwicklung dieses internationalen Dialogforums mitgewirkt hat. Das Team und ich sind stolz darauf, dass es uns im Laufe der Jahre gelungen ist, streitende Konfliktparteien zum gemeinsamen Auftritt in München zu bewegen. Ich denke unter anderem an die Führungen von Aserbaidschan und Armenien, ich denke an Serbien und Kosovo, ich denke auch an den amerikanisch-russischen Reset von 2009. Ich denke aber ganz besonders an die Konferenz, bei der es möglich war, Prinz Turki al Faisal aus Saudi Arabien gemeinsam mit Danny Ayalon, dem damaligen Vize Außenminister des Staates Israel, gemeinsam auf ein Panel zu holen. Bei dieser Veranstaltung gab es kontroverse Positionen, aber die beiden haben sich am Schluss die Hand gegeben. Ein erstes Zeichen eines möglichen Dialogs zwischen Israel und Saudi Arabien. Leider habe ich hinterher gehört, dass beide zu Hause nach diesem Handshake keineswegs nur mit Applaus bedacht worden waren. Ja, der Weg zur Aussöhnung, der Weg zum Frieden ist meist ein besonders steiniger, und nur ganz selten gibt’s Abkürzungen!
Meine Damen und Herren, die Münchner Sicherheitskonferenz wurde als Wehrkundetagung heute vor 60 Jahren gegründet im Jahr 1963 in genau demselben Jahr hielt Martin Luther King seine berühmte Rede mit dem Satz „I have a dream“. Meine Damen und Herren, ich habe auch einen Traum: Wie schön wäre es, wenn wir bei einer künftigen Münchner Sicherheitskonferenz erleben könnten, dass israelische und palästinensische Führer, umringt von ihren arabischen und europäischen Nachbarn sich die Hand schütteln. Die Realisierung eines solchen Traums ist nach dem was jetzt passiert ist, möglicherweise in noch weitere Ferne gerückt. Aber wir sollten nie aufgeben. Der Traum der Aussöhnung, des Friedens in Nahost muss unsere Verpflichtung bleiben. Gerade für uns Deutsche, die wir uns doch verpflichtet haben, die Existenz des Staats Israels zum Bestandteil unserer Staatsraison zu erklären. Der frühere amerikanische Präsident Barack Obama hat dieser Tage in einem klugen Beitrag von der Komplexität gesprochen, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben, wenn wir uns mit der Lage und mit der Vision von Frieden im Nahen Osten beschäftigen wollen. Es geht um die Balance zwischen Terrorbekämpfung einerseits und die Wahrung rechtsstaatlicher Normen und unserer Werte insbesondere der Würde des Einzelnen andererseits. Ja, meine Damen und Herren, wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Werte zerstört werden und genau das ist ja, worauf der Hamas Terror abzielt. Man möchte unsere Art zu leben, unsere Art, in Freiheit und Würde und ohne Angst zu leben, bekämpfen und durch etwas ganz anderes ersetzen. George W. Bush hat nach 9/11 seinen amerikanischen Landsleuten zugerufen, lebt euer Leben weiter, geht wenn ihr wollt zum Baseballspiel. Wir wollen unseren Way of Life nicht preisgeben. Ich erinnere mich daran, wie wenige Tage nach 9/11 in einem Vorort von Washington DC an einer Kreuzung ein kleiner Junge stand, der ein großes Schild vor sich hingestellt hatte, auf dem stand: „Honk if you Love America“, heißt auf Deutsch bitte hupen Sie, wenn Sie Amerika lieben. Nichts hat mich damals in diesen Tagen nach 9/11 so zu Tränen gerührt, wie dieser Auftritt des kleinen Jungen. Das ist Teil der Werte, für die einzustehen es sich allemal lohnt, meine Damen und Herren.
Ich komme zurück auf das ursprüngliche Motto dieses Preises und den Sinn seiner Verleihung, nämlich zu dem Prinzip der Toleranz. Es war kein Geringerer als Karl Popper, der auf das Toleranz-Paradoxon hingewiesen hat, nämlich, dass Toleranz nur gedeihen kann, wenn Intoleranz verhindert oder bekämpft wird. Denn wenn wir uns der Intoleranz nicht entgegenstellen, dann wird die Zahl der Toleranten fast zwangsläufig abnehmen und die Zahl der Intoleranten zunehmen. Toleranz ist deswegen nicht nur eine Tugend, sondern auch eine Verpflichtung. Eine Verpflichtung zur Bekämpfung ihres Gegenteils, der Intoleranz, des Rassismus und ganz besonders des antisemitischen Hasses. Schließlich, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage, wie wir als Deutsche uns im Bewusstsein unserer eigenen Geschichte, der Deutsch-Jüdischen und der Deutsch-Israelischen Geschichte, zu den aktuellen Vorgängen zu stellen haben. Manche bieten jetzt Israel wohlgemeinte Ratschlägen an, ob und wie die aktuelle militärische Kampagne unter Wahrung des Völkerrechts, unter Wahrung kriegsvölkerrechtlicher Normen überhaupt geführt werden könne. Ja, Israel braucht sicher gute Ratschläge angesichts dieser Katastrophe, zuallererst braucht Israel aber Solidarität! Meine Damen und Herren, Ratschläge werden dann vermutlich nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernst genommen, wenn mit dem Ratgebenden ein belastbares Vertrauensverhältnis besteht. Wie sagen wir im Auswärtigen Amt: Vertrauen ist die Währung der Diplomatie! Viele in Israel denken, dass man Amerika vertrauen kann. Zwei im Mittelmeer kreuzende Flugzeugträger sind der sichtbare Beweis dafür und ich will so weit gehen, zu sagen, wenn diese beiden Flugzeugträger jetzt nicht im Mittelmeer kreuzen würden, wäre vielleicht die Existenz Israels, das Überleben des israelischen Staats in noch viel dramatischerer Weise bedroht. Womöglich wäre Israel schon jetzt in einen massiven Mehrfrontenkrieg verwickelt. Gut wenn man Partner, wenn man Freunde hat, auf die man sich verlassen kann. Natürlich ist es besonders wichtig, dass neben die militärische Kampagne, mit der Israel jetzt die Hamas als Terrorgefahr im Gazastreifen zu eliminieren sucht, möglichst bald ein politischer Prozess tritt, ein Plan, die denn der Gazastreifen künftig ohne Hamas verwaltet bzw. regiert werden soll. Ein solches politisches Konzept scheint mir überfällig gerade angesichts der sich massiv häufenden Proteste auf unseren Straßen in ganz Europa aber inzwischen auch in den großen amerikanischen Städten. Deshalb meine Damen und Herren, müssen wir uns der Frage stellen, wieweit Israel uns, die wir die Existenz dieses Staates als Teil unserer Staatsraison definieren, tatsächlich vertrauen kann. Ja, wir haben Israel militärische Hilfe geleistet. Man denke an die U-Boote. Ja, wir arbeiten mit und für Israel in vielen Gremien zusammen, aber als es jetzt um die Abstimmung in den Vereinten Nationen ging, hat die Bundesregierung nach einer sicher sorgfältigen, langwierigen und schmerzhaften Abwägung sich dazu durchgerungen, sich der Stimme zu enthalten.
Meine Damen und Herren, meine Meinung dazu ist: es kann und darf für Deutschland, wenn es um das Verhältnis zu Israel geht, keine Enthaltung geben. Wenn dieser Satz von der Staatsraison nicht eine inhaltsleere Hülse sein soll, dann muss unser Platz in einer solchen Auseinandersetzung an der Seite Israels sein. Das ist aus meiner Sicht tatsächlich alternativlos. Angesichts dieses Vorgangs möchte ich deshalb hier folgenden Vorschlag formulieren: Vielleicht könnte der Deutsche Bundestag in den kommenden Wochen Zeit finden, auf der Basis eines Textvorschlags der Bundesregierung über die Bedeutung des Begriffs des Existenzrechts Israel als Teil unserer Staatsraison zu diskutieren und einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Ich glaube wir brauchen hier Klarheit, nicht nur wir intern, sondern auch nach außen, was diese Sicherheitszusage im Falle des Falles bedeutet. Wir schulden das vor dem Hintergrund unserer Geschichte dem Staat Israel, seinen Bürgern und den Opfern des 7. Oktober 2023. Ich danke Ihnen allen sehr.