

Ist "Westlessness" vermeidbar? – MSC Kick-off 2020 in Berlin
"Was bedeutet es für die Welt, wenn der Westen sich von der Weltbühne verabschiedet?" Das ist die zentrale Frage des Munich Security Report 2020, den Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, beim diesjährigen MSC Kick-off am 10. Februar in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin vor mehr als 300 Gästen präsentierte. Christoph Heusgen, Anne-Marie Descôtes und James L. Jones diskutierten im Anschluss die inneren und äußeren Herausforderungen, vor denen der Westen aktuell steht.
Wir sind Zeugen zunehmender "Westlessness" – sowohl der Westen selbst als auch die Welt werden immer weniger westlich. Diese Beobachtung teilte Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), zur Eröffnung des diesjährigen MSC Kick-off und präsentierte damit das zentrale Thema des Munich Security Report 2020. Wie es mittlerweile Tradition ist, fand der Kick-off in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin vor mehr als 300 Gästen aus Politik, Diplomatie, Wirtschaft, Medien und Think Tanks statt. Nach der Vorstellung des Munich Security Report 2020 diskutierten Christoph Heusgen, Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen, Anne-Marie Descôtes, Französische Botschafterin in Berlin, und James L. Jones, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama zur Krise des Westens und seiner Rolle in der Welt. Moderiert wurde die Diskussion von Anna Sauerbrey, Mitglied der Chefredaktion von Der Tagesspiegel.
Der Munich Security Report (MSR) 2020 mit dem Titel "Westlessness" soll die Diskussion auf der 56. Münchner Sicherheitskonferenz anregen, dient aber auch als Hintergrundlektüre für Sicherheitsexperten und die breitere Öffentlichkeit. Er bietet aufschlussreiche Analysen, Daten, Karten und Infografiken und liefert einen Überblick über einige der aktuell wichtigsten Herausforderungen für die internationale Sicherheit. Kernthema des diesjährigen Reports ist die Rolle des Westens in der Welt und die zahlreichen innen und äußeren Herausforderungen, vor denen der Westen aktuell steht – darunter der zunehmende Illiberalismus innerhalb des Westens, wachsende Differenzen zwischen westlichen Staaten, und der relative Aufstieg nicht-westlicher Mächte. Tobias Bunde, leitender Autor des Reports, der den Munich Security Report 2020 beim Kick-off in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin vorstellte, sprach von einer "fundamentalen Unsicherheit, die sich im Westen ausbreitet." Die liberale Interpretation des Westens hat Konkurrenz von einem illiberalen "Gegen-Westen" bekommen und damit Streit darüber entfacht, was den Westen im Innersten zusammen hält. Diese Uneinigkeit und Unsicherheit macht sich auch immer stärker auf der internationalen Ebene bemerkbar. Denn dem Westen, so Bunde, sei "sein weltpolitischer Gestaltungsanspruch abhandengekommen." Die Konsequenzen spürt man an vielen Orten der Welt, nicht zuletzt im Nahen und Mittleren Osten und im südlichen Mittelmeer, zwei Regionen die auch im Fokus des Munich Security Report 2020 stehen.
Werte Statt Geographie
Das Publikum selbst äußerte sich weniger pessimistisch zur Zukunft des Westens. Ob der Abstieg des Westens unvermeidbar sei, wurde es in einer Live-Abstimmung gefragt. 71 Prozent der teilnehmenden Gäste waren der Ansicht, der Westen sei weiterhin in der Lage, seine eigene Zukunft zu gestalten und stimmten mit "nein." Die Teilnehmer der anschließenden Podiumsdiskussion teilten diese optimistische Sichtweise des Publikums, obgleich es in der Tat so sei, dass "der Westen eine schwierige Krise durchlebe," so Anne-Marie Descôtes. Um aus dieser Phase gestärkt und in größerer Einheit hervorzugehen, darf der Westen die epochalen Veränderungen der strategischen Landschaft aber nicht nur analysieren. Westliche, und insbesondere europäische Staaten, müssen auf die aktuellen Herausforderungen auch mit Entschlossenheit reagieren. Werten kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Denn ein starker Westen sei mehr als nur Handel, militärische Macht, und Wirtschaftskraft. Menschenrechte und zentrale Freiheitsrechte gehörten ebenso ins Zentrum eines wiedererstarkten Westens, so James L. Jones.
Gleichgesinnte statt "Westler"?
Die Debatte warf aber auch die Frage auf, wie nützlich das Konzept des Westens ist. Menschen- und Freiheitsrechte zu verteidigen und die liberale internationale Ordnung zu stärken, das ginge auch ohne den Begriff des Westens, so Christoph Heusgen. Diese Ziele seien in der UN-Charta verankert – und damit nicht westlich, sondern universell.
Um liberale Prinzipien und die globale Rolle des Westens zu stärken, muss sich der Westen aber vor allem seinen inneren Herausforderungen stellen. Westliche Staaten, so waren sich die Teilnehmer einig, müssten sich engagierter als bisher dafür einsetzen, den sozialen Zusammenhalt ihrer Gesellschaften zu stärken und die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen.
In nur wenigen Tagen setzt sich die Debatte über die Zukunft des Westens auf der Münchner Sicherheitskonferenz fort. Auf der Konferenz, die viele als "Familientreffen" der westlichen Gemeinschaft betrachten, gilt der Krise des Westens und der Frage, wie sie zu lösen ist, in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit.