

Power Shifts: Zur Geopolitik der Energiewende
Während die Erde immer wärmer wird, steht die internationale Gemeinschaft vor einer doppelten Herausforderung: der massiven Stärkung von Klimaschutzmaßnahmen sowie der Bewältigung möglicher Risiken als Folge der Energiewende. Im Folgenden ein Beitrag dazu, der zeigt, welche Rolle Geopolitik dabei spielt.
Um den massiven Bedrohungen durch den Klimawandel wirksam zu begegnen, sind weltweit deutlich größere Schritte zur Dekarbonisierung erforderlich. Da die Energiewende die Wirtschafts- und Sozialmodelle, Handelsbeziehungen und globalen Machtdynamiken grundlegend verändert, birgt jedoch auch der Weg zum Netto-Null-Ziel ein enormes Potential für Spannungen. Für beide Herausforderungen – verstärkte Anstrengungen zur Eindämmung der Erderwärmung und die Bewältigung von Risiken, die sich aus der Energiewende ergeben – ist internationale Kooperation erforderlich. Mit Blick darauf, dass auch die Bereiche der Klima- und Energiepolitik zunehmend Teil des geopolitischen Wettbewerbs werden, steht eine verstärkte Zusammenarbeit jedoch vor großen Herausforderungen.
Nicht grün genug
Bei dem G7-Treffen in Cornwall war die Bekämpfung des Klimawandels erneut ganz oben auf der Agenda. Die reichsten Länder der Welt bekräftigten ihre Entschlossenheit, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen und Entwicklungsländer bei der Bekämpfung des Klimawandels zu unterstützen. Konkrete Schritte zur Umsetzung dieser Ziele blieben jedoch größtenteils aus. Der Gipfel folgte damit einem alten Muster: Obwohl 131 Länder, verantwortlich für 73 Prozent der weltweiten Emissionen, bis Mitte des Jahrhunderts ehrgeizige Netto-Null-Ziele angekündigt haben, besteht nach wie vor eine erhebliche Umsetzungslücke. Trotz der beispiellosen Chancen, die die Corona-Wirtschaftspakete boten, haben es Regierungen bislang weitgehend versäumt, diese Lücke anzugehen und Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung mit ökologischer Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen.
Aufgrund der Tatsache, dass sich grüne Ausgaben maßgeblich auf wirtschaftlich starke Länder konzentriert haben, vergrößert sich daneben die Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bei den Investitionen in saubere Energie. Diese Differenz wird dadurch verstärkt, dass die wohlhabenderen Länder ihre finanziellen Verpflichtungen zur Unterstützung ärmerer Länder bei der Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel bislang nicht erfüllen. Das hat gravierende Folgen für den Globalen Süden. So erschwert es nachhaltige Wachstumsperspektiven, zementiert Ungleichheit und schwächt die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel. Aus globaler Sicht behindert es Bemühungen, die Erderwärmung einzudämmen, zumal Schwellen- und Entwicklungsländer in den kommenden Jahrzehnten den Großteil des Emissionswachstums ausmachen werden, wie in einem aktuellen Bericht der International Energy Agency festgestellt wird.
Neben den Bedrohungen, die sich aus einer zu langsamen und höchst ungleichen Energiewende ergeben, birgt auch der Übergang zu Erneuerbaren Energien zahlreiche sicherheitspolitische Herausforderungen. Mit Blick auf mögliche innerstaatliche Risiken sind die beiden folgenden Aspekte besonders zentral.
Erstens könnte der Weg zu Net Zero jene Länder destabilisieren, die stark auf die Einnahmen aus fossilen Brennstoffen angewiesen sind. Mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent der Staatseinnahmen, bildet die Ölindustrie in Ländern wie dem Irak oder Kuwait das Rückgrat des Wirtschafts- und Sozialmodells. Da der Gesellschaftsvertag in Petro-Staaten wesentlich darauf beruht, die Mängel an politischer Repräsentation mit Öl-Reichtum zu kompensieren, könnten sinkende Einnahmen aus fossilen Brennstoffen zu sozialen und politischen Spannungen führen. Während die Anpassung an die neuen sozioökonomischen Realitäten und die Diversifizierung der Wirtschaft für alle Förderstaaten enorme Herausforderungen mit sich bringt, sind Länder wie Nigeria, Tschad und Irak mit hohen Produktionskosten, niedrigem fiskalischem Spielraum und hoher politischer Fragilität am stärksten gefährdet.
Zweitens bietet die Energiewende zwar enorme Chancen für die Staaten, die reich an Erneuerbarer Energie oder an jenen Mineralien und Metallen sind, die für grüne Technologien benötigt werden, jedoch bringt die steigende Nachfrage nach diesen Ressourcen auch Risiken mit sich. Da Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Seltene Erden konzentriert in Ländern mit schwachen Governance-Strukturen und hoher Fragilität vorkommen, ist die Gefahr groß, dass zunehmender Wettbewerb um die Kontrolle über die Ressourcen der grünen Wirtschaft Konflikte schürt, Korruption befeuert sowie Ungleichheit und Demokratiedefizite erhöht. Neben diesen Risiken, sind die Sorgen über gravierende Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung im Bergbausektor hoch.
Energized Rivalry – Potential der Energiewende für zwischenstaatliche Spannungen
Neben dem Risiko zunehmender innerstaatlicher Fragilität führt die Dekarbonisierung zu erheblichen Machtverschiebungen und Veränderungen in den Handelsbeziehungen zwischen Staaten. Die Energiewende hat folglich auch tiefgreifende Konsequenzen für die zwischenstaatlichen Beziehungen.
Ein Beispiel ist der zunehmende Wettbewerb um Führung in der Grünen Wirtschaft. Da kohlenstoffarme Technologien ein Schlüsselfaktor für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand sind, sehen manche AnalystInnen in ihnen das "geoökonomische Schlachtfeld der Zukunft". Mit der zunehmenden strategischen Rolle grüner Energietechnologien für den geopolitischen Wettbewerb nehmen auch die Sorgen des Westens über die führende Position Chinas in diesem Feld zu. So warnte beispielsweise der derzeitige US-Klimabeauftragte John Kerry Ende 2019, "dass es töricht wäre, eine Weltordnung, die zu abhängig von Öl aus dem Nahen Osten ist, durch eine zu ersetzen, die zu abhängig von chinesischer Technologie ist".
Dabei alarmiert westliche Länder nicht nur die führende Position der Volksrepublik in den Marktanteilen sauberer Technologien wie in Solarmodulen oder Elektroautos, sondern besonders die chinesische Dominanz in den Lieferketten von Rohstoffen, die für ihre Produktion benötigt werden. So werden zum Beispiel 50-70 Prozent des weltweiten Lithiums und Kobalts in China weiterverarbeitet und die komplette Wertschöpfungskette von Seltenen Erden von China dominiert. Diese starke Marktposition Pekings bei Seltenen Erden steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Chinas Wettbewerbern. 2010 setze die Volksrepublik Exportbeschränkungen auf Seltene Erden als geopolitisches Druckmittel in einem Territorialstreit mit Japan ein. In den letzten Jahren drohte Peking wiederholt damit, dies auch im Falle eines Handelskonflikts mit dem Westen zu tun. Da China "die Bedeutung der Lieferketten kritischer Mineralien als geopolitischen Hebel zu erkennen scheint", ist der Zugang zu ihnen zu einem wichtigen strategischen Thema geworden. Während Chinas Konkurrenten nach dem Vorfall mit Japan begonnen haben, den Abbau von Seltenen Erden zu diversifizieren, hat Peking seine starke Position in der Weiterverarbeitung der Metalle gefestigt. So macht China nach aktuellen Zahlen 85-90 Prozent der weltweiten Kapazitäten zur Weiterverarbeitung aus.
Zwischen Kooperation und Wettbewerb
Da China und die USA die beiden größten Emittenten der Welt sind sowie über starke wirtschaftliche und technologische Ressourcen verfügen, ist ihr gemeinsames, maximales Engagement auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel notwendig. Bezüglich der sino-amerikanischen Zusammenarbeit scheinen zwei Entwicklungen vielversprechend: Erstens die jüngsten Zeichen der Bereitschaft beider Länder, im Bereich des Klimas zusammenzuarbeiten; zweitens das Potenzial des zunehmenden Wettbewerbs um eine Führungsposition in der Klimapolitik und in Grünen Technologien. So könnte ein „Wettlauf nach oben" einsetzen, der Investitionen und ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen ankurbeln könnte. Mit Blick auf den harten geopolitischen Wettbewerb und das geringe gegenseitige Vertrauen scheint eine substanzielle Klimakooperation zwischen China und den USA jedoch wenig wahrscheinlich. In einem ersten Schritt sollten Washington und Peking daher versuchen, negative Auswirkungen ihrer Rivalität auf die Klimapolitik zu verhindern. So gilt es beispielsweise zu vermeiden, dass wirtschaftliche Spannungen auch den Bereich grüner Technologien treffen und zu Kostensteigerungen und Störungen der Lieferketten führen.
Da die globale Klimazusammenarbeit schwierig bleiben wird und Staaten bei der Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften mit erheblichen Hindernissen konfrontiert sind, werden verschiedene multilaterale Koalitionen und Kooperationsrahmen erforderlich sein, um den Klimaschutz zu fördern. Bezüglich zwischenstaatlicher Klimakooperation könnte ein starker gemeinsamer transatlantischer Ansatz, wie auch in der Abschlusserklärung des EU-USA-Gipfels vorgesehen, eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen. Neben einer mutigen eigenen Klimapolitik und einer umfassenden bilateralen Zusammenarbeit, beispielsweise in der Wasserstoffwirtschaft, sollten Europa und die USA ihre Klima- und Energiepartner-schaften mit dem Globalen Süden vertiefen und auf stärkere internationale Regulierungen und Standards drängen, beispielsweise im Bereich des grünen Handels und des Abbaus von Mineralien. Neben Staaten sind subnationale Akteure wie Städte, die Zivilgesellschaft und Unternehmen zu weiteren Schlüsselakteuren bei der Bekämpfung des Klimawandels geworden. Auf dem globalen Weg zu Net Zero werden auch ihre Beiträge – und damit die Entwicklung hin zu dem, was der UN-Generalsekretär als „inklusiven Multilateralismus“ bezeichnete – eine zentrale Rolle spielen.
Dieser Blogbeitrag ist eine angepasste Version des Kapitels "Energy and Climate: Power Shifts" aus dem Munich Security Report 2021.
Über die Autorin
Julia Hammelehle

Julia Hammelehle
Policy Advisor
Julia Hammelehle ist Policy Advisor bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Vor ihrer Arbeit bei der MSC studierte sie Internationale Beziehungen in Dresden und Boston und absolvierte einen Master in EU Politics an der London School of Economics and Political Science (LSE). Während ihres Studiums sammelte sie u.a. im Britischen Unterhaus, im Deutschen Bundestag, dem Baden-Württembergischen Landtag, sowie dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Arbeitserfahrung.