Jintro Pauly, Randolf Carr

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Rückblick auf die MSC 2022: Technologie

Auf einer Konferenz, die vom drohenden russischen Angriff auf die Ukraine überschattet wurde, nahmen die technologiefokussierten Debatten auf der MSC 2022 einen anderen Verlauf. Auf der Tagesordnung standen Themen aus Bereichen wie Halbleitern, künstliche Intelligenz und Kryptowährungen. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen standen der Innovationswettbewerb mit China, die Bewältigung von Abhängigkeiten sowie die Entwicklung politischer Antworten, die der Geschwindigkeit und dem Ausmaß des technologischen Fortschritts sowie der Notwendigkeit, liberal-demokratische Werte zu verankern, gerecht werden.

Vom 18. bis 20. Februar trafen sich Staats- und Regierungsoberhäupter, EntscheidungsträgerInnen und ExpertInnen zur 58. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Hotel Bayerischer Hof. Die MSC 2022 war zweifellos die bisher hoch-technisierteste Ausgabe der Konferenz – sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf ihre Logistik. Hybride Veranstaltungen mit physischen und virtuellen TeilnehmerInnen waren allgegenwärtig und insgesamt wurden fast 24 Stunden an Live- Material aus dem Konferenzprogramm ausgestrahlt.

Von der Kernagenda von 2022 war ein noch nie dagewesener Anteil Technologiefragen gewidmet: von der Sicherheit der Lieferketten für Hightech-Hardware bis hin zu Cyber- und hybrider Kriegsführung sowie Technologien von künstlicher Intelligenz (KI) bis hin zu Kryptowährungen mit ihren Sicherheitsrisiken und Potenzialen. Eine weitere Besonderheit der Technologiediskussionen auf der MSC 2022 war das Fehlen des "Elefanten im Raum", der viele andere Diskussionen auf der Konferenz überschattete: Russlands drohender Einmarsch in die Ukraine. Das Fehlen von Gesprächen über Russland im Technologieprogramm der Konferenz – mit der nennenswerten Ausnahme von Cyberangriffen und Desinformation, die Russland in großem Ausmaß gegen die Ukraine einsetzt – spiegelt die Wahrnehmung wider, dass Russland weit davon entfernt ist, ein führender Akteur bei der Entwicklung jener Technologien zu sein, welche die Teilnehmenden beschäftigten. Wenn es um diese Technologien ging – insbesondere Halbleiter, Big Data, KI oder Quantencomputer – war es der Wettbewerb mit China, der einen großen Teil der Debatte bestimmte.

Der Chip-Engpass: Regionale Resilienz?

Dies war zum Beispiel bei den Diskussionen über Halbleiter der Fall, die auf der Konferenz im Fokus standen. Sowohl politische EntscheidungsträgerInnen als auch führende VertreterInnen der Industrie - wie Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, und Cristiano Amon, CEO des US-Chip-Giganten Qualcomm, die gemeinsam auf einem Panel sprachen – unterstrichen die entscheidende strategische Rolle von Mikrochips sowohl für die aktuelle wirtschaftliche Stabilität als auch für den technologischen Fortschritt. China investiert massiv in die Stärkung seines heimischen Chipsektors, um gegen die Art von Krise immun zu werden, die den Chipmarkt während der Pandemie erschüttert hat. Auf der MSC 2022 fragten sich die VertreterInnen der USA, Europas und anderer Hightech-Ökonomien, ob sie das gleiche Ziel verfolgen sollten – und wie. Die politischen EntscheidungsträgerInnen schienen sich einig in ihrem Vorsatz, die Chipindustrie an "freundliche" Standorte zu locken; BranchenvertreterInnen warnten davor, zu grob in eine fein abgestimmte internationale Wertschöpfungskette einzugreifen. Es bleibt daher die Frage, ob ein international koordinierter und komplementärer Ansatz zur Schaffung zusätzlicher Kapazitäten und Resilienz in der Chip-Lieferkette machbar ist – und ob er von der Industrie angenommen wird.

Wir werden bei der künstlichen Intelligenz letztendlich ein ähnliches Verbreitungsproblem haben wie bei den Atomwaffen.

Eric SchmidtGründer und Vorsitzender, Special Competitive Studies Project

Neue Technologien: Schlauer als uns lieb ist?

Ein weiteres zentrales Thema auf der MSC 2022 war die Formulierung angemessener politischer Antworten auf neue und sich schnell entwickelnde Technologien. In Gesprächen mit PolitikerInnen und der Industrie wurden die Chancen und Gefahren dieser Technologien eingehend erörtert. Redner wie der ehemalige Google-CEO Eric Schmidt und Palantir-CEO Alex Karp betonten das enorme Potenzial der künstlichen Intelligenz für die Verbesserung von Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten, erkannten aber auch die ernsten ethischen Fragen an, vor die immer bessere KI unsere Gesellschaften stellen wird. Schmidt argumentierte, mit zunehmender Leistungsfähigkeit werde man „bei der künstlichen Intelligenz letztendlich ein ähnliches Verbreitungsproblem haben wie bei den Atomwaffen“. Neben der KI wurde auch das Potenzial der Quanteninformatik in mehreren Diskussionsrunden hervorgehoben. Ein Durchbruch im Quantencomputing, so warnten einige Teilnehmer, könnte schneller kommen als gemeinhin erwartet. In diesem Fall würde Verschlüsselung zu den ersten Systemen gehören, die überholt werden – mit massiven Auswirkungen auf die Datensicherheit und die nationale Sicherheit – sodass Lösungen für die "Post-Quanten"-Kryptografie in den Mittelpunkt rücken.

Der Ton auf der MSC 2022 war jedoch nicht ausschließlich auf technologische Risiken ausgerichtet. Auf einer Veranstaltung zum Thema Kryptowährungen auf der Hauptbühne tauschten der CEO und Gründer der Kryptowährungsbörse FTX, Sam Bankman-Fried, und die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, ihre Ansichten über die Rolle aus, die Kryptowährungen im Finanzsystem spielen könnten. Während Johansson darauf hinwies, dass Kryptowährungen in großem Umfang zur Erleichterung illegaler Finanzströme genutzt werden, die für die Behörden nur schwer zu kontrollieren sind, betonte Bankman-Fried, dass Kryptowährungen auch den Zugang zum Finanzsystem für benachteiligte Menschen, die derzeit davon ausgeschlossen sind, erleichtern.

Ich möchte nicht, dass wir einen Goldstandard setzen. Es wäre viel besser, wir würden einen globalen Standard setzen.

Eva MaydellMitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie, EVP-Fraktion, Europäisches Parlament

Demokratische Technologie-Standards: "Going Global?"

Viele Diskussionen auf der MSC 2022 über die Regulierung neuartiger Technologien liefen auf ein bekanntes Dilemma hinaus: Demokratien wollen Technologien in einer Weise regulieren, die mit ihren Werten vereinbar ist. Damit könnte man jedoch Innovationspotenzial behindern und den Vorteil im Wettlauf um Technologien an China abtreten. Um dieses Dilemma zu überwinden, schlugen verschiedene Teilnehmer vor, die Arbeit an pro-demokratischen Regeln für Technologien wie KI zu intensivieren – und sie global zu bewerben. Eva Maydell, Mitglied des Europäischen Parlaments, drückte es so aus: "Ich möchte nicht, dass wir einen Goldstandard setzen. Es wäre viel besser, wir würden einen globalen Standard setzen." Nach dieser Logik würde die proaktive Festlegung von Standards auf der ganzen Welt – auch im globalen Süden, wo Chinas Technologiesektor seinen Fußabdruck ausweitet – als normatives Gegengewicht zu Chinas Innovationstempo und ungehinderter Übernahme neuer Technologien dienen. In Anbetracht der langsamen Fortschritte, die selbst Hightech-Demokratien wie die USA und Europa bei der Regulierung von KI und anderen Technologien gemacht haben, würde dies bedeuten, dass man sich hohe Ziele steckt. Die MSC 2022 zeigt jedoch auch, dass auf beiden Seiten des Atlantiks der Ehrgeiz und die Bereitschaft, Ressourcen für den Technologiewettlauf zu investieren, gestiegen sind.

Über die AutorInnen

Jintro Pauly

Jintro Pauly

Junior Policy Advisor

Schwerpunktthemen: Verteidigung, Technologie, EU-Außen- und Sicherheitspolitik

Jintro Pauly ist Junior Policy Advisor bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Bevor er zur MSC kam, absolvierte er ein Praktikum im Büro des Politischen Beraters im NATO-Hauptquartier Joint Force Command Brunssum und war in seiner Heimatstadt Maastricht in den Niederlanden kommunalpolitisch aktiv. Er studierte Internationale Angelegenheiten (MA) an der Hertie School in Berlin, Öffentliche Verwaltung und Politikwissenschaft (MSc) an der Radboud Universität in Nijmegen und Liberal Arts & Sciences (BA) an der Universität Maastricht. 

Randolf Carr

Randolf Carr

Interim Head of Policy

Schwerpunktthemen:  Globale Ordnung, Ostasien (China und Japan), Technologie

Randolf Carr ist Interim Head of Policy bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) und zusätzlich für die Programmbereiche "Global Order" und "Technology" zuständig. Bevor er zur MSC kam, studierte er Politische Kommunikation und Internationale Beziehungen in Glasgow, Dresden und Sankt Petersburg. Während seines Studiums sammelte er u.a. Erfahrungen im Auswärtigen Amt, bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und dem American Institute for Contemporary German Studies (AICGS). Seine jüngsten Veröffentlichungen für die MSC befassen sich mit dem indopazifischen Raum sowie mit Technologiepolitik und Innovation.