

Polypandemie
Sonderausgabe des Munich Security Report zu Entwicklung, Fragilität und Konflikt in der Covid-19-Ära
In nur wenigen Monaten ist aus der Coronavirus-Pandemie eine Polypandemie geworden – eine globale und vielschichtige Krise, in der sich die gesundheitlichen Konsequenzen der Pandemie mit zahlreichen Folgepandemien kombinieren, darunter den Pandemien der Armut und des Hungers, aber auch des Nationalismus und des Autoritarismus.
Indem sie sich wechselseitig verstärken, haben diese Pandemien das Potenzial, jahrelange Entwicklungsfortschritte zunichte zu machen, staatliche Fragilität weiter zu befördern und sogar zum Brandbeschleuniger für gewaltsame Konflikte zu werden. Die Sonderausgabe des Munich Security Reports „Polypandemie“ liefert Denkanstöße dazu, wie die internationale Gemeinschaft den disruptiven Auswirkungen von Covid-19 in den verwundbarsten Regionen der Welt entgegengetreten und die Krisenresilienz dieser Staaten langfristig stärken kann.
Keine Weltregion bleibt verschont von den verheerenden Folgen der Coronavirus-Pandemie für menschliches Leben und Wohlergehen. Und keinem Teil der Welt bleibt der sozioökonomische Schock erspart, der mit dem Coronavirus einhergeht. Mit den zahlreichen Pandemiefolgen aber haben einige Länder stärker zu kämpfen als andere. Dort, wo Menschen bereits vor Covid-19 unter Entwicklungsdefiziten, staatlicher Fragilität und gewaltsamen Konflikten litten, drohen die direkten und indirekten Auswirkungen der Pandemie weitaus gravierender zu sein.
In diesen Ländern verspricht die Pandemie schon jetzt jahrelange Entwicklungsfortschritte zu vernichten, etwa indem sie Millionen von Menschen in die Armut treibt oder Ernährungsunsicherheit vielerorts verschlimmert. Infolge der Pandemie geraten zudem demokratische Prinzipien noch stärker in Bedrängnis und Gewaltakteure missbrauchen Covid-19, um ihren Einfluss weiter zu vergrößern – auch in Europa und seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Indem sie Länder destabilisiert und bestehendes Leid noch verschärft, könnte die Polypandemie sogar zum Katalysator gewaltsamer Konflikte werden.
Gegenwärtig besteht jedoch ein gewaltiges Ungleichgewicht: Auf der einen Seite stehen das menschliche Leid und massive Risiken für Frieden und Sicherheit, die die Polypandemie vielerorts zu verursachen droht. Auf der anderen Seite stehen die geringe Aufmerksamkeit und Hilfe, die Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft diesen vulnerablen Kontexten bislang widmet. Das Verhalten wohlhabender Staaten untermauert damit aber lediglich den Prä-Corona-Zustand: den unzureichenden Einsatz für Sicherheit und Wohlergehen in den verwundbarsten Ländern der Welt. Die disruptiven Folgen dieser Vernachlässigung offenbart die Polypandemie nun schonungslos.
Die Krise als Chance: Building back better
Krisen aber bieten immer auch Chancen. Indem sie schonungslos zeigt, wie sehr unser eigenes Wohlergehen vom Wohlergehen anderer abhängt, könnte die Polypandemie auch als Weckruf dienen. Für Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft bietet sich nun die Möglichkeit des building back better: globale Disparitäten abzubauen und damit internationalen Frieden, Stabilität und globale Krisenresilienz zu stärken.
Die vorliegende MSR-Sonderausgabe „Polypandemie“ knüpft an die vielseitigen Aktivitäten der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) rund um den Nexus Gesundheit und menschliche Sicherheit an. Sie gibt Impulse für die Debatte darüber, wie die internationale Gemeinschaft besonders verwundbare Bevölkerungsgruppen besser vor den Pandemiefolgen schützen und ihre Krisenresilienz langfristig stärken kann. Denn wenn wohlhabende Staaten sich nicht auf eine Politik verständigen können, die Solidarität als Eigeninteresse und den Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen als wichtige Investition in die Zukunft begreift, dürfte die Welt nach der Pandemie noch deutlich krisenanfälliger sein.
Das building back better muss auch für die internationale Zusammenarbeit gelten: Nach Jahren der Schwächung multilateraler Institutionen ist es dringend geboten, Instrumente der Kooperation nun aktiv zu stärken. Ohne sie kann globale Solidarität nicht gelingen.
Darüber hinaus könnte die Pandemie noch eine andere Einsicht stärken: dass die Beziehungen zwischen mehr und weniger entwickelten Ländern der Welt keine Einbahnstraße sind. Die letzten Monate haben eindrücklich gezeigt: Wenn es um die Bekämpfung von Infektionskrankheiten geht, kann der Westen viel von Entwicklungsländern lernen.
Über die Sonderausgabe „Polypandemie“
Die Münchner Sicherheitskonferenz dankt dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die großzügige Teilförderung des Projekts.
Der Bericht enthält eine Reihe exklusiver und zuvor unveröffentlichter Daten. Für diese Sonderausgabe hat die MSC wieder mit zahlreichen Organisationen zusammengearbeitet, unter anderen mit dem Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED), der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF), Gallup, der International Organization for Migration (IOM), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dem Pew Research Center, Save the Children, dem Wellcome Trust, der Weltbankgruppe und der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Über Sonderausgaben des Munich Security Report
Die Sonderausgaben des Munich Security Report komplementieren den jährlich im Februar erscheinenden Munich Security Report und widmen sich jeweils einem bedeutenden und aktuellen Thema der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik.
Die vorliegende, auf Deutsch und Englisch erschienene Sonderausgabe „Polypandemie“ zu Entwicklung, Fragilität und Konflikt in der Covid-19-Ära ist – nach der Sonderausgabe „Zeitenwende | Wendezeiten“ zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik – die zweite Veröffentlichung dieser Publikationsreihe, der zukünftig weitere Sonderausgaben folgen werden.